«EDGAR LÄDER»

Hochstehende Dialektstücke sind eher selten. Die soziale Problematik eines älteren, vereinsamenden und überrollten Menschen in unserer Gesellschaft ist eine Parabel auf unsere Gegenwart.

Das Stück hat drei Schwerpunkte. Zunächst ist es inhaltlich aktuell, weil es von einem Opfer unserer immer schneller drehenden und gewinnbringend orientierten Wirtschaft erzählt. Ein kleiner Mann, der auf der Strecke bleibt.

 

Seine Figur ist nicht anekdotisch, wir erzählen eine Parabel über den Konflikt von Person und Beruf, von Gehabe und Sein, von Realität und Eigentlichkeit. Erfahrungen aus Kliniken und aus unserem persönlichen Umfeld stärken die Szenen. Der Widerspruch zwischen geschäftlicher Funktion und bescheidener Eigentlichkeit reibt ihn auf.

 

Läder erzählt auf seiner Endstation bruchstückhaft von einer vergangenen Liebe, von der Leere und seiner Verwaisung in der Welt, er macht sich manchmal noch Notizen oder nimmt es sich zumindest vor. Er werkelt verbissen an Metallen herum. Er befindet sich in einem Niemandsland zwischen Tod und Leben, Tag und Traum.

 

Edgar Läder war von Beruf Vertreter für Eisenwaren. Er besuchte und belieferte die verschwundenen kleinen Eisenwarenhandlungen in der Schweiz. Heute sind das Grossisten an den Stadträndern. Er ist ursprünglich Arbeiter und wird bald zum Handlungsreisenden der Firma und des Besitzers. Dann wird er wegrationalisiert, von der Entwicklung überholt, wirr irrt er in einer Endstation. Er kann nun sporadisch nachdenken und sein Leben aufrollen. Läder hat Bezüge zu wenig Literatur, zu Schillers „Glocke“ und „Bürgschaft“, zu Marie von Ebner-Eschenbachs Hund „Krambambuli“ und zu ihrer Erzählung „Die Totenwacht“.

 

In der Station beginnt das Stück. Er träumt und durchlebt seine Widersprüche. Wir nehmen reale, surreale, absurde und demente Aspekte auf. So erzählt Läder von Begegnungen mit Kunden, von seinen Begegnungen mit ihnen auch ausserhalb des Verkaufsbetriebs, von der Vermischung von Geschäftlichem und Freundschaftlichem.

 

Er hat auch skurrile Anfälle. Seine Angst vor Besuchern oder Fremden treibt ihn innerhalb seiner engen Mauern um.

 

Viviane Chassot kann das Spiel des Schauspielers Kurt Wegmüller mit ihrem Instrument hintermalen, ergänzen, stützen, befragen, kontrapunktieren. Die Musik und der Dialog mit ihr ist ein Kernstück der Inszenierung.


Die Personen

Kurt Wegmüller

Geboren 1952 in Basel. Schauspieler, Musiker. Schauspieler im Théâtre tel quel. Theaterfalle Basel (Blindensturz). Vermummter Herr in Wedekinds Frühlingserwachen (Kleine Bühne Theater Basel).

 

Education projects Gare du Nord: Ein Tisch ist ein Tisch (mit S.Zytynska). Bilder Einer Baustelle (mit S.Zytynska). Lehrer für Musik und Bewegung, Musiker in verschiedenen Barockorchestern.

 

Theater Bunte Büchse Berlin: Galgenbruders Nachtgesang (Gastspiel in Basel Ende März 2015).

Viviane Chassot, Accordeon

Viviane Chassot besuchte Meisterkurse bei Alfred Brendel, Ferenc Rados und András Schiff und erhält regelmässig wichtige Impulse von Eberhard Feltz (Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin).

 

Mittlerweile pflegt Viviane Chassot eine rege Konzerttätigkeit als Solistin und Kammermusikerin im In- und Ausland. Davon zeugen Einladungen von namhaften Sinfonieorchestern und Ensembles (Berliner Philharmoniker, Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Tonhalleorchester Zuerich, Klangforum Wien, Ensemble Modern Frankfurt) sowie die Arbeit unter Dirigenten und Komponisten wie Simon Rattle, Peter Eötvös, David Zinman, Beat Furrer und Heinz Holliger.

 

Viviane Chassot ist eine vielseitige Musikerin, die sich auch für Improvisation, Jazz und spartenübergreifende Projekte begeistert. «Mich interessiert gute Musik» sagt sie, «und die gibt es in jedem Bereich». Seit Frühjahr 2013 lebt sie als freischaffende Musikerin in Basel.

 

www.vivianechassot.ch

Natascia Scarpa Okechukwu

Wurde in Italien geboren, Studium und Abschluss an der Accademia di Belle Arti di Brera, Milano. Atelier im Kesselhaus Weil DE; künstlerische Tätigkeit mit Schwerpunkt Collage, Papierschnitt und Kunstvermittlung.

 

Seit 2011 auch Lehrtätigkeit im Fachbereich Bildnerisches Gestalten, Werken, Textiles Gestalten.

  

www.natascia-scarpa.de

Joerg Jermann

Joerg Jermann ist 1952 in Basel geboren, war an der Regieschule in Graz, arbeitete als Schauspieler, Clown und in Fabriken. Jahrelang führte er Regie von Studententheatern und war im Schultheaterbereich tätig. 

 

Theaterkritiker. Mehrere Aufführungen eigener Stücke.

 

Gedichte (drei Bände) und Belletristik (Neuerscheinung Ende Oktober 2015 im IL Verlag Basel). Er war Mitglied der Literaturkommission BL/BS, Schulleiter und Lehrer für Deutsch und Geschichte.

 

www.joergjermann.ch

Unser Interesse am Stoff

Das Schicksal eines Einzelnen, der für wesentliche Grundzüge einer ganzen Generation von Arbeitern und Angestellten steht. Edgar Läder will wie die meisten von uns ein guter Mensch sein, er will auch sein etwas überanstrengendes Pflichtbewusstein hochhalten.

 

Er übertüncht auftauchende Risse in der Fassade, die geprägt ist vom Zwiespalt, Repräsentant sein zu müssen eines Betriebes, eine Rolle inne zu haben und der eigentlichen Wahrheit, eigentlich eine ganz andere Person zu sein. Läder baut eine Lebenslüge auf und scheitert schliesslich daran.

 

Wir betrachten Läders Thematik als Teil gesamtgesellschaftlicher Erleb- und Ereignisse in einer galoppierenden Gegenwart.

 

Das Stück ist aufgebaut wie ein Rondo und hat einen eigenen sprachlichen Rhythmus. Die Herausarbeitung der Konfrontation und der Begleitung Läders mit der Musikerin und ihrer Musik ist zentral.

 

Musik: Viviane Chassot wird das Spiel des Schauspielers Kurt Wegmüller mit ihrem Instrument hintermalen, ergänzen, stützen, befragen, kontrapunktieren. Die Musik und der Dialog mit ihr ist ein Kernstück der Inszenierung.

 

Zudem haben wir uns entschlossen, die ursprüngliche Fassung von Standard-Sprache umzusetzen in Mundart. Spoken word schafft eine grosse Nähe, Unmittelbarkeit und Spontaneität der Figur. Dabei wird das Baseldeutsch (in etwa Pratteln) nichts zu tun haben mit Spalenberg, Schnitzelbank oder Schwankbühne, sondern als klassische Theaterfassung daherkommen. Das ist ein spezielles Ereignis und wird selten gewagt. 

 

Wir sind von der anregenden spoken-word-Fassung überzeugt. Umso mehr als wir punkto Dialekt in der anerkannten Kunst eher Berndeutsch und ähnliche Dialekte gewohnt sind und die Wirkung von regionalem Baseldeutsch auf der Bühne ziemlich neu, wirksam, lebendig und unmittelbar ist.